Sehr geehrter Herr Gallert,
etwas verspätet habe ich Ihr Interview in der Volksstimme vom 15. März 2012 gelesen. Sie betonen dort, dass “es eine kommunistische Tradition in Deutschland (gibt), von der ich mich nicht trennen kann und will”.
Als geschichtsinteressierter Mensch frage ich mich, was Sie wohl damit meinen könnten. Offensichtlich geht es Ihnen weniger um die theoretischen Grundlagen des Kommunismus, als mehr um die vergegenständlichte Umsetzung der kommunistischen Ideen. Dies entnehme ich dem Kontext, in dem Ihre Formulierung steht – in dem Sie nämlich ausdrücklich darauf verweisen, “dass die Kommunisten die Konzentrationslager nicht errichtet haben”.
Nun werden Sie sich ja sicherlich nicht auf die Opferrolle, die die Kommunisten in der Zeit der Naziherrschaft hatten, begrenzen wollen – dann könnten Sie sich ja genauso gut auf die “Traditionen der Zeugen Jehovas” berufen, oder vielmehr sich “nicht von diesen trennen wollen”.
Ich vermute deshalb, dass Sie eine Linie (der Tradition) zur KPD in der Zeit von deren Gründung ziehen wollen.
An dieser Stelle hätte ich dann doch einige Fragen an Sie:
- Stellen Sie sich in die Tradition des “Spartakusaufstandes”, den die gerade gegründete KPD zwar 1919 nicht inszenierte, auf den sie dann allerdings “aufsprang”?
- Oder dachten Sie bei Ihrer Aussage an die chaotischen Flügelkämpfe der KPD in der Zeit zwischen 1920 und 1928, in der es diverse Abspaltungen und Führungswechsel gab und versucht wurde, im Herbst 1923 einen (in Moskau beschlossenen) Aufstand in Deutschland zu inszenieren?
- Meinen Sie vielleicht die (aussichtslose) Stichwahl-Kandidatur von Thälmann für das Amt des Reichspräsidenten, die 1925 die Wahl Hindenburgs erst ermöglichte?
- Finden Sie, dass die 1924 entwickelte und ab 1929 umgesetzte Sozialfaschismus-Theorie, in der die Sozialdemokratie zum Hauptfeind erklärt wurde, eine Tradition begründet, von der Sie sich nicht zu trennen vermögen?
- Oder fühlen Sie sich der Tradition der Gruppen Ulbricht, Ackermann und Sobottka verpflichtet, die ab 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone “alles in der Hand haben wollten” (und es doch “demokratisch aussehen sollte”)?
- Wundern würde es mich, wenn Sie angesichts Ihrer mehrfachen und für mich glaubhaften Distanzierung vom DDR-Sozialismus gerade diesen zu einer für Sie unverzichtbaren Tradition erklären würden…
Mit freundlichen Grüßen – Ralf Mattern
Sehr geehrter Herr Mattern,
Sie nehmen in einem Offenen Brief auf ein Interview Bezug, in dem ich u. a. ausgeführt habe, dass es eine kommunistische Tradition in Deutschland gibt, von der ich mich nicht trennen will und kann. In Ihrem Brief zählen Sie dann einige Zusammenhänge aus der Geschichte der deutschen Kommunisten auf, die aus Ihrer Sicht nur eine klare Distanzierung meinerseits hervorrufen müssten, da ansonsten meine Distanzierung vom „DDR-Sozialismus“ nicht glaubhaft wäre.
Mit meiner Aussage in diesem Interview habe ich aber etwas grundsätzlich anderes gemeint. Und zwar, dass trotz ihrer Irrungen und Verfehlungen die kommunistische Traditionslinie (die neben anderen Traditionslinien, wie z. B. der gewerkschaftlichen, der sozialdemokratischen, der feministischen, der antifaschistischen oder auch der linksliberalen) ganz objektiv zu den geschichtlichen Quellen meiner Partei gehört, und zwar unabhängig davon, ob ich diese persönlich präferiere. Somit kann ich sie nicht einfach ausblenden.
Es gehört aus meiner Sicht zur historischen Redlichkeit, Verfehlungen genauso allerdings wie auch Verdienste dieser Traditionslinien zu reflektieren.
Diese Überzeugung wuchs in mir nach 1990, in einer Zeit, in der ich erlebt habe, dass die anderen politischen Parteien kaum oder gar keinen Grund sahen, in kritische Distanz zu ihren Traditionslinien in der deutschen Geschichte zu gehen. Dies betrifft vor allem die CDU und die FDP mit ihrer mangelnden Aufarbeitung der Rolle der bürgerlichen Parteien in der Weimarer Republik bezüglich des völligen Fehlens eines Widerstandes gegen die Machtergreifung durch die Faschisten wie ihrer Rolle in der DDR. Dies betrifft aber auch die SPD, deren Agieren zumindest in der Zeit der Weimarer Republik – genauso wie das der Kommunisten – dazu beigetragen hat, dass ein gemeinsames Agieren gegen den Faschismus nicht zustande kam.
Gerade deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, mich im Unterschied zu einem solchen Vorgehen kritisch mit früheren Positionen von Kommunisten auseinander zu setzen, die die Legitimation der Diktatur als Mittel zur Erreichung politischer Ziele ebenso beinhaltet wie den mutigen Kampf für die soziale Verbesserung der arbeitenden Bevölkerung und den bewussten Kampf gegen den Faschismus unter Inkaufnahme des eigenen Todes.
Dies ist der Grund, warum ich mich nicht von der kommunistischen Traditionslinie trennen kann und will, obwohl ich selbst kein Kommunist bin.
Aus Ihrem Brief spricht jedoch eines der größten Probleme der politischen Linken in Deutschland im gesamten 20sten Jahrhundert, das sich offensichtlich auch im 21sten Jahrhundert fortschreibt: Das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und einer radikaleren Linken, deren gleichzeitige Existenz keine deutsche Besonderheit ist und für die es in dieser Gesellschaft, die man sehr wohl kapitalistisch nennen kann, objektive Ursachen zu geben scheint. Die eigentlich entscheidende Frage ist, ob beide politischen Strömungen kooperationsfähig sind oder eben nicht. Wenn sie es sind, können sie durchaus gesellschaftliche Mehrheiten mobilisieren, wie es möglicherweise demnächst in Frankreich bei der Präsidentschaftswahl gelingen könnte. Sind sie es nicht, gibt es immer eine bürgerlich konservative Hegemonie.
Das zentrale deutsche Problem besteht darin, dass eine Kooperationsfähigkeit der beiden linken Strömungen immer beiderseitig an die Bedingung geknüpft wird, dass der andere jeweils seine Identität aufgeben müsse. Das war in der radikalsten Form sicherlich bei der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED so gewesen, das war aber auch so bei der staatlichen Verfolgung von Kommunisten in der Bundesrepublik der 50er Jahre. Und weil das so ist, ist es ein außerordentlich beliebtes Verfahren, der jeweils anderen politischen Strömung ihre Fehler der Vergangenheit als Beweis ihrer grundlegenden Überflüssigkeit vorzuwerfen. Das fängt dann gegenüber der SPD meist mit der Bewilligung der Kriegskredite von 1914 an und ließe sich beliebig fortführen. Nicht nur die Kommunisten setzten mit der Sozialfaschismus-These die Sozialdemokraten den Faschisten gleich. Es gibt genügend Dokumente, aus denen hervorgeht, dass die Sozialdemokraten es umgekehrt genauso propagierten. Was das 1933 bedeutet hat, wissen wir inzwischen alle.
Das Fatale an dieser 100jährigen Debatte ist, dass sie, wenn auch in einem völlig anderen Kontext, heute noch immer dazu geeignet ist, die Kooperationsfähigkeit der SPD und der LINKEN zu verhindern und damit der CDU die politische Hegemonie überlässt. Nicht zuletzt auch hier in Sachsen-Anhalt.
Mit freundlichen Grüßen
Wulf Gallert
Antwort (bereits am 22.04.2012 an Herrn Gallert auf dessen Brief vom 12.04.2012 – als Mail zuvor hier veröffentlicht)
Sehr geehrter Herr Gallert,
angesichts Ihrer gerade in der jetzigen Zeit sicherlich Sie ausfüllenden Tätigkeit (nicht nur als Fraktionsvorsitzender) möchte ich Sie nun auch nicht in einen endlosen “Dialog” verwickeln. Ich gehöre nicht zu den BürgerInnen, die meinen, Politiker von ihren Ansichten überzeugen zu müssen. Gestatten Sie mir trotzdem, Sie nochmals zu kontaktieren, weil Ihr Brief neue Fragen aufwirft, von denen ich annehme, dass Sie sie beantworten könnten.
Um Gemeinsamkeiten vorweg zu schicken:
1. Ich persönlich, da wiederhole ich mich, halte Sie nicht für einen Kommunisten.
2. Ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie sagen, dass die früheren Ost-Parteien (CDU, LDPD, NDPD, DBD, NDPD), die in der CDU und der FDP aufgegangen sind, ihre DDR-Geschichte nur unzureichend aufgearbeitet haben – sowohl als Partei, wie auch als betroffene Personen (in meinem Wahlkreis waren beide seit 1990 direkt gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete schon in der DDR Mitglied der Ost-CDU.).
3. Die “Hegemonie” der CDU in weiten Teilen im Osten unseres Landes sehe ich wie Sie. Seit Jahren ärgert mich das Wahlrecht: Wenn (mit der Erststimme) ein Mehrheitswahlrecht vorgesehen ist, wäre es an der Zeit, dieses Mehrheitswahlrecht auch konsequent – also mit einer Stichwahl (wie bei einer Bürgermeister- oder Landratswahl) – durchzuführen.
Nun zu meinen fünf (neuen) Fragen: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind es zwei Gründe, die Sie erklären ließen, sich zur Tradition des deutschen Kommunismus zu bekennen:
Der “mutige Kampf für die soziale Verbesserung der arbeitenden Bevölkerung” und
Der “bewusste Kampf der Kommunisten gegen den Faschismus”.
Zu a): In Anbetracht der Bedeutung Ihrer Aussage, sich in die Tradition des deutschen Kommunismus zu stellen, hätte ich erwartet, dass Sie Alleinstellungsmerkmale der KPD anführen. Sicherlich können Sie mir zustimmen, dass heutzutage die kommunistische Idee völlig diskreditiert ist. Wenn sich dann ein führender Politiker unseres Landes, wie Sie es sind, auf genau diese politische Strömung als Tradition beruft, bedarf es da sicherlich präziserer und nachvollziehbarer Argumente, als den globalen und beliebigen Allgemeinplatz “Kampf um soziale Verbesserung”. Von dem Ziel einer “sozialen Verbesserung der arbeitenden Bevölkerung” sprachen in der Weimarer Republik zudem (fast) alle Parteien. Hier hätten Sie Ihre “Tradition, von der Sie sich nicht trennen wollen und können”, ebenso gut auf die SPD, das Zentrum, ja selbst auf die NSDAP begründen können.
Frage 1: Können Sie also präzisieren, was Sie konkret meinen, wenn Sie schreiben, dass (allein) die KPD um eine “sozialen Verbesserung der arbeitenden Bevölkerung” kämpfte?
Zu b): Konkreter ist da schon Ihr zweites Argument. Sie haben Recht: Die Kommunisten “kämpften bewusst gegen den Faschismus”. Doch: Wie definierten denn die deutschen Kommunisten den Begriff “Faschismus”? Mit der 1924 entwickelten, nach der Wittorf-Affaire 1928 umgesetzten und auf dem XII. Parteitag 1929 bestätigten “Generallinie” war die Sozialdemokratie der faschistische Hauptfeind, den es zu bekämpfen galt.
Frage 2: Wie definieren Sie den in Ihrer Antwort verwendeten Begriff “Faschismus”? Verwandten Sie den Begriff “Faschismus” (statt Nazismus/NSDAP) ganz bewusst, um hier die Interpretation des (Haupt-)Kampfes der KPD gegen die Sozialdemokratie offen zu lassen?
So hieß es in der “Kommunistischen Internationalen Presse-Korrespondenz” vom 1.11.1929: “Die kommunistische Partei … ficht den unerbitterlichen Kampf sowohl gegen den faschistischen Rechtsblock (damit war der “Hugenberg-Hitler-Block” gemeint), wie gegen den sozialfaschistischen Koalitionsblock (damit war die SPD-geführte Regierung Müller gemeint).”
Am 22.2.1930 schrieb die “Rote Fahne”: “Wer noch zur SPD gehört, ist verfault und muss aus Betrieb und Gewerkschaft fliegen – auch wenn er noch so radikal tut.”
Im September 1930 verlautbarte im “Parteiarbeiter” die Parteiführung, dass Kommunismus und Faschismus sich als klare Fronten formieren, der Sozialfaschismus (also die SPD, das Reichsbanner und die Gewerkschaften) “das stärkste Bollwerk, der gefährlichste Feind” sei.
Im März 1931 schrieb die “Rote Fahne”, dass die “Sozialfaschisten wüssten, dass es für die KPD kein gemeinsames Zusammengehen, sondern nur Kampf bis zur Vernichtung geben” würde.
Am 7.7.1931 hieß es im Heft “Kommunistische Internationale” in Zusammenhang mit dem von der KPD, der DNVP und der NSDAP unterstützten Volksbegehren des Stahlhelms: “Alle Kräfte der Partei müssen in den Kampf gegen die Sozialdemokratie geworfen werden.”
Auf der ZK-Tagung im Februar 1932 sagte Thälmann: “Wie steht es nun mit dem Verhältnis zwischen der Politik der Hitler-Partei und der Sozialdemokratie? … Am klarsten hat der Genosse Stalin schon im Jahr 1924 die Rolle dieser beiden Flügel gekennzeichnet, in dem er von ihnen als von Zwillingen sprach… Die praktische Anwendung dieser Strategie in Deutschland erfordert den Hauptstoß gegen die Sozialdemokratie.”
Erst, nachdem am 25.5.1932 die KPD-Fraktion im Preußischen Landtag von der NSDAP-Fraktion überfallen wurde, proklamierte die KPD die sogenannte “Antifaschistische Aktion” und damit die Taktik, den Kampf vorrangig gegen die NSDAP zu richten.
Doch bereits mit Rundschreiben des ZK vom 14.7.1932 sah die KPD “Fehler” in diesem Versuch der Einheitsfrontpolitik, weil die vom Parteitag beschlossene Generallinie in Gefahr war. So sagte Thälmann in seinem Schlusswort auf dem XII. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im September 1932, abgedruckt (und damit weiterhin geltend) im Heft “Kommunistische Internationale” am 15.12.1932: “Im jetzigen Stadium der fortschreitenden Faschisierung wird jede Abschwächung unseres prinzipiellen Kampfes gegen die Sozialdemokratie ein schwerer Fehler.”
Noch auf dem Berliner Bezirksparteitag der KPD im November 1932 wandte sich Thälmann gegen alle Einheitsfrontangebote von Sozialdemokraten, gegen das “Löbesche Einheitsfrontgerede” als Betrugsmanöver.
Sie haben also Recht: Es gab einen “bewussten Kampf der Kommunisten gegen den Faschismus”. Jedoch wurde dieser Kampf (in erster Linie) gegen die als “Faschisten” begriffene Sozialdemokratie geführt wurde. Deshalb vermag ich diesen Ihren Grund, sich aufgrund dieses “bewussten Kampfes der KPD gegen den Faschismus” in die Tradition des deutschen Kommunismus zu stellen, nicht nachzuvollziehen.
Frage 3: An welcher Stelle ihrer Geschichte (ausgenommen die Zeit vom 25.5.-14.7.1932) kämpfte die KPD in erster Linie derart gegen den Nazismus/die NSDAP?
Hingegen kämpfte die SPD bis zum Schluss (als einzige große) Partei für die Republik und damit gegen den (aufkommenden) Faschismus/Nazismus: Auf politisch-parlamentarischer Ebene zum Teil bis zur Selbstverleugnung, als Sie 1925 zur Reichspräsidentenwahl den Zentrumspolitiker Marx (gegen den rechtskonservativ-monarchistischen Hindenburg) unterstützte und 1932 sogar für Hindenburg war (um Hitler als Präsidenten zu verhindern) und auf außerparlamentarischer Ebene mit dem Reichsbanner Schwarz Rot Gold und später der Eisernen Front militärisch. Die SPD war die einzig relevante konsequent republikanische Partei und eben deshalb DIE antifaschistische/antinazistische Partei. Wegen ihrer republikanisch-demokratischen Grundeinstellung war es der SPD allerdings auch nicht möglich, zu einem bewaffneten Aufstand (z.B. am “Tag der Machtergreifung Hitlers”) aufzurufen Hitler wurde ja vom demokratisch gewählten Hindenburg berufen. Zudem: Das hätte Bürgerkrieg bedeutet – und vermutlich nicht mal die Verhinderung eines faschistischen Systems sondern die Installierung einer damals in Europa “üblichen” (mindestens) rechtsradikalen Militärdiktatur zur Folge gehabt.
Frage 4: Warum stellen Sie sich wegen des “bewussten Kampfes der deutschen Sozialdemokratie für Demokratie und Republik und damit gegen Faschismus/Nazismus und Kommunismus” nicht in die Traditionen der SPD, sondern in die der KPD ?
Als (neues) Problem erachtete ich zudem Ihren “Seitenhieb” auf die SPD, nach dem “deren Agieren in der Weimarer Republik – genauso wie das der Kommunisten- dazu beigetragen hat, dass ein gemeinsames Agieren gegen den Faschismus nicht zustande kam”. Sie schwächen mit dieser Argumentation zwar die offizielle Geschichtsschreibung der SED ab, in der es hieß, dass die KPD zwar Fehler begangen habe, die Hauptschuld für das Scheitern der Zusammenarbeit jedoch bei der SPD gelegen hätte. Ihr Vortrag trägt an dieser Stelle jedoch in Anbetracht der vorgenannten Fakten nicht.
Sehr geehrter Herr Gallert, ich kann Ihre Ansichten insoweit nachvollziehen, weil uns unsere (gemeinsame) Sozialisation mit ein paar vermeintlich unanfechtbaren und unwiderlegbar feststehenden historischen Tatsachen indoktrinierte. Nun aber gibt es die Möglichkeit, die Geschichtsverklärung der SED zu hinterfragen. Aus diesem Grunde empfehle ich Ihnen die Lektüre speziell folgender Dokumentensammlung, aus der ich hier zitierte: Hermann Weber: Hauptfeind Sozialdemokratie; Strategie und Taktik der KPD 1929-1933; Droste-Verlag 1981.
Gern würde ich von Ihnen Quellen auch genannt bekommen, aus denen sich Ihre Behauptung bestätigt, dass die SPD die KPD als “faschistische Partei” bezeichnet hat.
Dass die SPD die KPD als Extremisten bezeichnete, ist mir hingegen klar und dürfte nicht verwundern: Hatte doch der organisierte deutsche Kommunismus schon zu einem Zeitpunkt, an dem es ihn noch gar nicht gab, der Sozialdemokratie den Krieg erklärt. Zum Ziel (“Diktatur”) und den bevorzugten Mitteln (“Umsturz”, “Terror”) darf ich auf die (vollständigen) Dokumente des Gründungsparteitages der KPD verweisen (in: Die Gründung der KPD, herausgegeben und eingeleitet von Hermann Weber, Dietz-Verlag, Berlin, 1993).
Der Sozialdemokratie ist zu verdanken, dass es in Deutschland ab 1919 nicht “russische Zustände” (Bürgerkrieg, Diktatur – vermeintlich die des Proletariats, tatsächlich aber die über das Proletariat) gab. Denn: Wie die politischen Ansichten der Bevölkerung tatsächlich aussahen, zeigte eben die Wahl zur Nationalversammlung: Die SPD hatte KEINE absolute Mehrheit in der Bevölkerung (von USPD und nicht angetretener KPD ganz zu schweigen.)
Und: Obwohl die KPD von Anfang an die parlamentarischen Demokratie im Allgemeinen und die (auch Unabhängige) Sozialdemokratie im Besonderen bekämpfte (auch mit bewaffneten Scharmützeln, wie 1919 und 1921) streckte die SPD der KPD 1923 die Hand entgegen um mit ihr in Sachsen und Thüringen eine Koalitionsregierung zu bilden – gerade auch vor dem Hintergrund, eine (gemeinsame!!!) Gegenkraft gegen einen Rechtsruck in Deutschland zu bilden. Doch die KPD nutzte die nun erhaltenen infrastrukturellen Möglichkeiten, um erneut einen bewaffneten Aufstand zu iniziieren… (siehe hierzu die Dokumentensammlung “Deutscher Oktober 1923 – Ein Revolutionsplan und sein Scheitern, Aufbau-Verlag, 2003).
Sehr geehrter Herr Gallert, wir sollten nicht auf die Geschichtsschreibung der SED hereinfallen: Der organisierte deutsche Kommunismus wollte seit der Gründung NIE ein Zusammengehen mit der Sozialdemokratie. Der Grund lag auf der Hand: Es ging darum, im Arbeitermilieu die Hegemonie für das Ziel eines “Sowjetdeutschland” zu erreichen – auch wenn gelegentlich etwas anderes verlautbart wurde. Die Leninschen Prinzipien von “Strategie und Taktik” wurden stets umgesetzt.
Frage 5: Finden Sie nicht auch, der SPD in diesem Zusammenhang eine historische Mitschuld daran zu unterstellen, dass es bei der Spaltung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik blieb, würde bedeuten, die Fakten aus den historischen Zusammenhängen zu reißen?
Eine letzte Anmerkung: Soweit Sie “eine (heutige) Kooperationsmöglichkeit der beiden linken Strömungen” ansprechen, finde ich Ihren Verweis auf Frankreich (hier hoffe ich, dass Ihre Sarkozy unterstützende Bundespräsidentin-Kandidatin Klarsfeld heute keinen Grund zum jubeln hat) aus folgenden Gründen misslungen:
1. Der Kampf der französischen Kommunisten gegen “ihre” Sozialisten/Sozialdemokraten führte nicht in eine nationalsozialistische Diktatur.
2. Es gab in Frankreich keine kommunistische Diktatur, die “die andere linke Strömung” über 40 Jahre verbot und mit drakonischen Strafen bedachte.
3. In Frankreich wurden durch die Kommunisten nicht 5.000 Sozialdemokraten verhaftet, von denen 400 in der Haft starben, 20.000 ihren Arbeitsplatz verloren, zehntausende in “den Westen” fliehen mussten.
Eben aus diesen Gründen kann ich mir persönlich auch nicht vorstellen, dass die SPD jemals Juniorpartner einer Partei wird, die ja die legitime Nachfolgerin der KPD ist und damit von einer Partei, von der sie seit ihrer Gründung 1919 stets bekämpft, verhöhnt, belogen und ausgetrixt wurde. Deshalb wird es nach meiner Ansicht auch niemals einen Linken Ministerpräsidenten geben können.
Ich sehe gleichwohl die grundsätzliche Frage, warum es eine SPD und eine Art USPD (mit kommunistischem Flügel) auf Dauer in Deutschland geben sollte. Ich hoffe da eher auf eine Wiederholung der Ereignisse von 1922, als die Realpolitiker der USPD zur SPD “zurückkehrten” und diese bereicherten. Die “anderen” sollten konsequenterweise ihren Weg Richtung DKP fortsetzen.
Mit freundlichen Grüßen – Ralf Mattern
Sehr geehrter Herr Mattern,
ich habe tatsächlich längere Zeit darüber nachgedacht, ob eine Antwort auf Ihr letztes Schreiben überhaupt sinnvoll ist.
Der zentrale Inhalt meiner These meiner letzten Antwort war, dass die mangelnde Kooperationsfähigkeit zwischen der Sozialdemokratie und einer Partei links der Sozialdemokratie nicht nur im 20sten Jahrhundert, sondern auch im 21sten Jahrhundert in Deutschland die Hegemonie des konservativ bürgerlichen Lagers zur Folge hat. Ich hatte Ihnen weiterhin geschrieben, dass diese mangelnde Kooperationsfähigkeit zum einen inhaltlich begründet ist, zum anderen aber auch mit der fehlenden grundsätzlichen Akzeptanz der jeweils anderen Partei zu tun hat. Dies führte in der Vergangenheit dazu, dass man sich zum einen oftmals härter bekämpft hat als die Auseinandersetzungen mit den bürgerlichen Lagern zu führen oder vom anderen verlangt hat, gefälligst so zu werden wie man selber ist. Also das Angebot der Zusammenarbeit immer an die Voraussetzung geknüpft war, dass der jeweils andere gefälligst die eigene Hegemonie anzuerkennen hat.
Währenddessen ich mich in meinem Schreiben durchaus kritisch mit der Geschichte der KPD als auch der SPD auseinandergesetzt habe, lehnen Sie eine solche Betrachtungsweise für sich eindeutig ab. Schuld waren immer nur die Kommunisten, die Sozialdemokraten haben immer alles richtig gemacht und deswegen könne auch heute eine politische Zusammenarbeit von SPD und LINKEN immer nur unter der Führung der SPD stattfinden. Damit haben Sie eigentlich meine Analyse des Problems mehr als eindeutig bestätigt. Und auch die politische Konsequenz dieser Herangehensweise wurde uns vor kurzem wieder vor Augen geführt mit dem Ergebnis des 1. Wahlgangs zur OB-Wahl in Halle, bei der die SPD ja, wie von Ihnen gefordert, verlangt hat, dass als ein gemeinsamer Kandidat von LINKEN, SPD und Grünen natürlich nur ein SPD-Mitglied in Frage kommt.
Da eine solche Herangehensweise aber ausdrücklich Ihrer Position entspricht, wie ich Ihrer letzten Antwort entnehmen konnte, erscheint mir auf dieser Grundlage eine weitere Debatte wenig sinnvoll.
Mit freundlichen Grüßen
Wulf Gallert
Sehr geehrter Herr Gallert,
zunächst danke ich für Ihr kurzes Statement.
Ich erwarte auf dieses Schreiben von Ihnen keine Reaktion. Aber vielleicht führt es ja dazu, dass Sie in einer ruhigen Minute das in Rede stehende Thema nochmal überdenken.
Denn: Leider haben Sie keine meiner fünf Fragen beantwortet. Im Gegenteil: Sie behaupten nun plötzlich, dass es Ihnen garnicht um die „kommunistischen Traditionen“, zu denen Sie sich bekennen, geht, sondern dass es ausschließlich um strategische Überlegungen zur potenziellen Zusammenarbeit zwischen der SPD und Ihrer Partei gegangen wäre. Ich muss Sie daran erinnern, dass es Ihre Aussage war, nämlich: dass Sie „sich nicht von den kommunistischen Traditionen Ihrer Partei zu trennen vermögen“, die mein (erstes) Schreiben an Sie auslöste. Während Sie meine Fragen hierzu in Ihrer ersten Antwort mit Allgemeinplätzen zu begründen versuchten, gehen Sie nun abschließend mit keinem Wort mehr auf den Inhalt Ihres persönlichen „Traditionskabinetts“ ein.
Mir ist des Weiteren schleierhaft, wie Sie auf die recht beleidigt klingende Behauptung kommen, ich hätte geschrieben, dass „die Sozialdemokraten immer alles richtig machen“ würden. Davon ist in meinem Brief keine Rede. Bitte überprüfen Sie hierzu meine Ihnen vorliegenden Schreiben.
Eine „Nebenfrage“ hingegen haben Sie versucht zu beantworten – nämlich meine Frage nach einer Quelle, wonach (wie Sie in Ihrem ersten Schreiben vortrugen) die SPD die KPD als „faschistische Partei“ bezeichnet habe.
Sie schrieben nun, dass „die SPD die Kommunisten mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt hat, ist vielfach belegt, u. a. mit einem Zitat von Kurt Schumacher 1930: “… die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rot lackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind“.” Ich hoffe, dass Sie, wenn Sie sich Ihre Zeilen nochmal vergegenwärtigen, selbst sehen, dass Ihre Argumentation nicht trägt. Während es bei der KPD die „Generallinie“ war, die SPD in erster Linie (und noch vor der NSDAP) als „faschistische Partei“ zu bekämpfen, zitieren Sie den zu diesem Zeitpunkt Vorsitzenden der Stuttgarter SPD, Kurt Schumacher. Sie verallgemeinern also eine einzelne Stimme von einem zum damaligen Zeitpunkt nicht im Parteivorstand befindlichen und erst später weithin bekannten Sozialdemokraten zur „allgemeinen Linie“ der SPD. Das nenne ich unredlich. Ich hätte mir dann doch eher einen Beleg für Ihre gewagte These gewünscht – z.B. in Form eines SPD-Parteitagsbeschlusses. Ich habe Ihnen in meinem Brief jedenfalls eine ganze Reihe von Hinweisen auf die Ihnen möglicherweise bis dahin unbekannte Beschlusslage der KPD gegeben.
Doch damit nicht genug: Sie zitieren zwar Schumacher – aber leider nur verkürzt (auch dies ist übrigens unredlich), denn er sagte ja noch mehr, nämlich: „Der Weg der leider ziemlich zahlreichen proletarischen Hakenkreuzler geht über die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind. Beiden ist gemeinsam der Hass gegen die Demokratie und die Vorliebe für Gewalt.“ Dass die KPD die Weimarer Republik bekämpfte, werden Sie ja wohl hoffentlich wenigstens einräumen.
Übrigens fußt die Einschätzung Schumachers auf einer Politik der KPD, die im Jahr 1923 mal wieder eine jähe Wendung machte und sich mit den Nationalisten um Schlageter-Sympathisanten zusammen tun wollte, um eine Art „Querfront“ zu bilden – natürlich gegen die Weimarer Republik. Im Hintergrund wirkte zu dem Zeitpunkt in Deutschland der sowjetische Kommunist Radek, der – wie Ihnen vielleicht bekannt ist – auch die Gründung der KPD „beaufsichtigte“. Die „Querfrontpolitik“ (= „Schlageter-Linie“) wurde jedoch – von Moskau aus – auch wieder fallen gelassen. Ich will mir nicht vorstellen, dass Sie diese „Querfront“-Politik der KPD verteidigen wollen. Wenn mich dann aber diese Vorstellung nicht trügt, sollten Sie eigentlich Schumacher zustimmen können.
Übrigens: Als wahrer Demokrat hat Schumacher insbesondere die Nazis angegriffen. Zitate, wie „Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen“; und: „Der NSDAP sei damit zum ersten Mal „in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen.“ sprechen für sich. Wie Sie sehen: Offensichtlich war der Hauptgegner für Schumacher die NSDAP – sonst hätte er vielleicht die KPD in diese Aussage (ob zu Recht oder zu Unrecht) einbezogen…
Ich denke, für einen Demokraten kann es kaum einen besseren Anlass geben, sich in eine Tradition Schumachers zu stellen. Tun Sie es?
Wie dem auch sei: Natürlich wurde Ihre Reaktion, so wenig ergiebig sie auch ist, auf der Homepage unverändert veröffentlicht.
Mit freundlichen Grüßen – R. Mattern