Die Sozialdemokratie hatte es im Osten unseres Landes nicht leicht: Verboten während des Sozialistengesetzes 1878-1890, verboten während der Nazizeit 1933-1945 und während der DDR 1946-1989 – das sind immerhin 67 Jahre, in denen die sozialdemokratische Idee vom Gleichklang der Freiheit, Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit unterdrückt wurde.
Und doch hat die Sozialdemokratie – auch die in Wernigerode – bedeutende Spuren in der Geschichte hinterlassen: Das gilt für unsere Stadt zum Einen indirekt: Denn, um die sozialdemokratischen Ideen nicht weiter wachsen zu lassen, richtete Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode – später Vize-Kanzler unter Bismarck – für die gräflichen Arbeiter schon im Jahr 1873 den Prototyp des späteren von Bismarck landesweit eingeführten Sozialsystems aus Pensionskasse für Witwen und Invaliden und Krankenkasse ein.
Aber auch direkt hat die Stadt Wernigerode etwas Sozialdemokratisches zu bieten, das kein anderer Ort weltweit vorweisen kann: Volkshäuser und Volksgärten als Treffpunkte der sozialdemokratisch orientierten Einwohner und Vereine wurden in den 1890-er Jahren aus Mitgliedsbeiträgen der Sozialdemokraten erbaut. Das 1895 errichtete Volkshaus in Brüssel, gilt dabei als erstes Volkshaus der Sozialdemokratie, wie es auch im Fach-Buch “Die Zinnen der Partei” heißt. Diese Aussage lässt sich nicht mehr halten, denn das erste nur aus Mitteln der Parteimitglieder errichtete sozialdemokratische Gebäude gibt es hier – in unserer Stadt! Der Volksgarten auf dem Hof an der Ecke Feldstraße / Schmatzfelder Straße (für die Wernigeröder: Zu DDR-Zeiten war dort die Stadtwirtschaft untergebracht) wurde im August 1893 eingeweiht und im Januar 1921 verkauft. Das Gebäude, das die hiesigen Gewerkschaften dann 1920/21 erwarben, das Hotel Monopol an der Westerntorkreuzung (heute AOK-Zentrale), gilt übrigens wiederum als erster Hotel-Besitz deutscher Gewerkschaften.
Doch Wernigerode hat noch mehr zu bieten: Bereits Im Januar 1921 vereinigten sich hier die USPD und die SPD – während dies in Deutschland erst offiziell im Herbst 1922 vollzogen wurde. Und noch eine Einmaligkeit: Im Dezember 1927 traten die vier Stadtverordneten der KPD geschlossen zur SPD über, weil sie mit der Politik der KPD-Führung, die die SPD und nicht die Nazis als Hauptgegner sah, nicht einverstanden waren.
Die Nazis sprachen noch 1931 resignierend von der bunten Stadt mit dem rötlichen Einschlag und die Kommunisten hatten es hier 1946 nach der Vereinigung von SPD und KPD zur SED, die viele Sozialdemokraten als Zwangsvereinigung empfanden, besonders schwer, sich gegen die aufmüpfigen, eine freiheitliche und soziale Grundordnung fordernden und zahlenmäßig fünffach überlegenen Wernigeröder Sozialdemokraten letztlich erfolgreich mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht, mit Verhaftungen, Drohungen und Vertreibungen durchzusetzen.
Als Leute wie Siegfried Siegel, Klaus-Peter Buchmann, Uwe Lemke, Joachim Dähnn, Wilfried Obermüller und Hans-Ulrich Werther am 2. Januar 1990 die Sozialdemokratie in unserer Stadt organisatorisch offiziell wieder gründeten, halfen nicht nur Genossen aus westdeutschen Ortsvereinen, sondern sogar die West-CDU bot ihre Hilfe an – man vertraute den Sozialdemokraten offensichtlich mehr als der DDR-CDU. So schrieb am 22.12.89 der Kreisverband der Jungen Union aus Neustadt an der Weinstraße an den Magdeburger Sozialdemokraten Willi Polte und bot Unterstützung und Aufbauhilfe an. Willi Polte leitete diesen Brief aus unserer Partnerstadt hierher nach Wernigerode weiter.