Am 11. April 1945 marschierten die Amerikaner in Wernigerode ein. Am 20. April ergab sich die im Harz operierende 11. Armee.
Nach der Besetzung Wernigerodes wurden die von den Nazis verfolgten oder kaltgestell-ten politischen Kräfte wieder aktiv. Während die SED-Geschichtsschreibung wenig glaubhaft erwähnt, dass es zu einer (illegalen) Beratung zwischen den KPD-Mitgliedern August Willecke, Otto Deutsch, Reinhold Neumann und den SPD-Mitglieder Wilhelm Obendiek , Bernhard Schmidt und Heinrich Matscheroth gekommen sei, in dessen Folge Funktionäre beider Parteien beim amerikanischen Kommandanten vorstellig wurden, um zu erreichen, dass Antifaschisten die Positionen an der Spitze von Stadt und Kreis ein-nehmen konnten, berichten die Quellen Loops und Otto davon, dass der langjährige libe-rale Stadtrat Otto Büchting und Rechtsanwalt Momsen ein paar Tage nach der Besatzung durch den amerikanischen Kommandanten O’Donald den Auftrag erhielten, eine Vor-schlagsliste zu erarbeiten für einen demokratischen Rat der Stadt und einen neuen Bür-germeister . Dieses geschah dann nach mehrfachen Besprechungen mit Vertretern ver-schiedener Parteirichtungen (Parteien waren im amerikanischen Sektor noch nicht zuge-lassen). Teilnehmer der Besprechung am 18.4.1945, die von Otto Büchting und Hermann Reichardt initiiert worden war, waren von der bürgerlichen Seite: Otto Büchting, Rechts-anwalt Voigt und Plander. Seitens der SPD nahmen teil: Max Otto, Richard Bartels, Paul Menger, Walter Niemann und als Vertreter für Reichardt, der krank war, Papendieck. Für die KPD waren bei dem Treffen: Otto Deutsch, Eichfeld und August Willecke. Am 19.4. wurde dem Vertreter des amerikanischen Kommandanten eine Liste mit Personen übergeben, die als neue Verwaltungsspitze in Betracht kämen, und diese wurde sofort be-stätigt mit der Wirkung, dass Max Otto (für den nicht anwesenden Hermann Reichardt) Bürgermeister wurde und für die Polizei, die Verwaltung und die Sparkasse verantwort-lich war. Das Sozialamt leitete der Kommunist Otto Deutsch, der auch 2. Bürgermeister wurde, die Liegenschaften oblagen Rechtsanwalt Momsen, das Wirtschaftsamt, Versor-gung und Kartenausgabe: Plander, für die Stadtwerke war Richard Bartels verantwortlich, für die Schulen Paul Menger, für Finanzen und Forsten: Walter Niemann, das Bauamt leitete August Willecke und für den Schlachthof (später auch das Verkehrsamt) war Otto Büchting verantwortlich. Max Otto blieb Bürgermeister bis 1950.
Im April wurde auch der Landrat Paul Eichfeld (wohl SPD) eingesetzt, der bis zum 31.8.1945 in diesem Amt blieb, dann amtierte der Bürgermeister von Wernigerode Max Otto bis zum 3.9.1945, ehe Hermann Reichardt (SPD) bis 1947 Landrat wurde und dann durch seinen Stellvertreter Falkenbach (KPD) abgelöst wurde.
Bis zum Einmarsch der Roten Armee am 3. Juli 1945 arbeiteten die Parteien illegal. Trotzdem trafen sich schon am 8. Mai 1945 SPD-Mitglieder zu einer geheimen Grün-dungsversammlung und wählten Richard Bartels zum Vorsitzenden .
Es wurde Anfang 1946 im Kreis Wernigerode ein Organisationskomitee zur Bildung einer einheitlichen Arbeiterpartei geschaffen. Mitglieder von Seiten des SPD waren u. a. Richard Bartels, Heinrich Matscheroth Otto Goedecke, Paul Nawroth, Ernst Loops und Annemarie Wesche. Zur Leitung der gemeinsamen Parteiarbeit wurden 10 Kommissionen gebildet mit je einem Obmann und drei weiteren Mitgliedern. SPD geführte Kommissionen waren: Organisationskommission (von Wilhelm Obendiek geleitet), Volksbildungskommission (von Ernst Loops geleitet), Ernährungskommission (Leiter: Paul Navroth), Kommission für Kommunal- und Sozialpolitik (von Richard Bartels geleitet) und die Kommission für Agitation und Propaganda (Leiter: Otto Goedecke).
Auf Beschluss des Organisationskomitees der Provinz Sachsen-Anhalt wurden in der Zeit vom 2. bis 10. März 1946 in beiden Parteien Mitgliederversammlungen durchgeführt. In ihnen wurden die Delegierten für die Kreisparteitage sowie die jeder Partei zustehenden drei Mitglieder für die Gruppenleitungen der einheitlichen Partei gewählt. Die Wernigeröder SPD-Ortsgruppe tagte am 4. März 1946: Die Ortsgruppe wählte 25 Delegierte für den Kreisparteitag. Am 10. März wurden die Kreisparteitage beider Parteien getrennt (die SPD in der Aula der Wilhelm-Raabe-Schule, die KPD nebenan – im späteren Kulturhaus) durchgeführt. Beide Parteien wählten je 10 Kandidaten für den einheitlichen Kreisvorstand der SED, sowie Delegierte zur Bezirks- und Provinzkonferenz. Von den Tagungsorten fand dann eine gemeinsame Demonstration zur gemeinsamen Tagungsstätte im Gewerkschaftshaus Monopol statt. Dort wurden Karl Glänzel und Friedrich Müller als gleichberechtigte Vorsitzende gewählt. Es wurde eine Entschließung der Vereinigungskonferenz verabschiedet, die mit den Worten endete “Es lebe die Sozialistische Einheitspartei.”
Auf einer Liste vom 22. März 1946 sind folgende Ortsgruppenvorstände der SPD genannt: Die Vorsitzenden sind auch Co-Vorsitzende nach der Zwangsvereinigung zur SED in ihrem Ortsverein geworden – im Fall von Reddeber und Friedrich Ahrens gab es keinen Co-Vorsitzenden.
SPD-Ortsvereine: Vorstände (vor der Zwangsvereinigung) und Zahl der Mitglieder am 19.8.1946 der SED – in Klammern vormalige Mitgliedschaften:
Reddeber: Friedrich Ahrends & Heinrich Krebs; keine KPD (34 : 0)
Schierke: Franz Feder & Fritz Schmidt (120 SPD-Mitglieder : 80 KPD-Mitglieder)
Silstedt: Ernst Newie jun. (Vors.), Friedrich-Wilhelm Newie (Beisitzer), Hermann Schurig (Kassierer) und Arthur Weinert (Revisor) (36 : 15)
Minsleben: Karl Tscherney (Vorsitzender), Franz Fenzl (Beisitzer) und Karl Tacke (Kassierer) (91 : 32)
Offensichtlich irrt die bislang bekannte Quelle aus dem Landeshauptarchiv , nach der es mit Stand vom 1. April 1946 in Wernigerode 2.446 Sozialdemokraten und 1.822 Kommunisten gegeben haben soll . Alle nun gefundenen Quellen korrigieren die Zahlen der KPD-Mitglieder deutlich nach unten:
1945: 444 Mitglieder der KPD in Wernigerode
3.5.1946: SED-Mitglieder in Wernigerode: 3.268
4.5.1946: 2528 (ehemalige) SPD-Mitglieder in Wernigerode
555 (ehemalige) KPD-Mitglieder in Wernigerode
in der Stadt Wernigerode demnach 3083 SED-Mitglieder
19.8.1946: Bestätigung der vorgenannten Zahlen
Zusammenfassend lässt sich feststellen: In der Stadt Wernigerode waren in der SPD etwa fünf Mal mehr Mitglieder, als in der KPD.
Für den Kreis Wernigerode wurden folgende Zahlen überliefert (vorn das Datum der je-weiligen Liste) :
1.4. & 15.4.1946 6.317 / 6.303 SPD-Mitglieder im Kreis
6.304 SPD-Mitglieder im Kreis
2.797 (handschriftlich: 3.797) KPD-Mitglieder
im Kreis demnach 9.101 (oder 10.101) SED-Mitglieder
16.4.1946: 2.584 KPD-Mitglieder im Kreis (Angabe: Karl Glänzel)
SED im Kreis: 8.892 Mitglieder
4.5.1946: 6.622 (ehemalige) SPD-Mitglieder im Kreis
2.675 (ehemalige) KPD-Mitglieder im Kreis
im Kreis demnach 9.297 SED-Mitglieder
19.8.1946: 6611 (ehemalige) SPD-Mitglieder im Kreis
2.685 (ehemalige) KPD-Mitglieder im Kreis
im Kreis demnach 9.296 SED-Mitglieder.
Im Kreis waren in der SED immerhin knapp 29% der Mitglieder zuvor in der KPD organisiert .
Die Kommunalwahlen am 8. September brachten für die Stadt folgendes Ergebnis: SED: 19 Mandate; LDP: 13 Mandate; CDU: 8 Mandate. Damit hatte die SED keine absolute Mehrheit. Interessant ist allerdings die Zusammensetzung der gewählten SED-Fraktion. In einem undatierten Bericht heißt es, dass es bei der Aufstellung der Kandidatenliste einmal ernstliche Differenzen gegeben hat, da die ehemaligen KP-Anhänger zu wenig berücksichtigt waren. Bei den 20 an aussichtsreicher Stelle stehenden Kandidaten waren nur 2 Mitglieder der ehemaligen KP.
Entweder war das zu einer frühen Zeit der Kandidatenaufstellung – oder der Bericht stimmt nicht. Von den 19 Gewählten sind mit Karl Glänzel, Benno Hils, Reinhold Neumann, Wilhelm Pech und Hugo Linderhaus fünf Stadtverordnete definitiv Kommunisten gewesen. Bei Gustav Strauß kann die ehemalige KP-Mitgliedschaft vermutet werden. Bei Willi Fenkner und Georg Günther konnte die frühere Mitgliedschaft in einer Partei nicht ermittelt werden. Bleiben als ehemalige Sozialdemokraten definitiv zehn Stadtverordnete über. Das waren: Max Otto, Friedrich Kuring, Annemarie Wesche, Richard Bartels, Dr. Franz Wegener, Friedrich (“Fritz”) Müller sen., Minna Bopp, Karl Läger, Heinrich Matscheroth und Paul Menger. Der Stadtverordnete Richard Bertram war 1945 im Antifa-Volksblock Wernigerode Schriftführer und Mitglied der LDP. Offensichtlich ist er zur SED übergetreten. Angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen KPD und SPD in Wernigerode (etwa ein Kommunist auf fünf Sozialdemokraten) wurden die Kommunisten damit sogar weit überdurchschnittlich auf vorderen Listenplätzen berücksichtigt.
Aus der Stadtverordnetenversammlung schieden Max Otto (als dann gewählter Erster Bürgermeister), sowie Paul Menger und Richard Bartels (als Stadträte, neben dem Stadtrat Walter Niemann) aus. Für diese drei rückten Erich Riedel, Kurt Meyer und Emmi Donat nach. Kurt Meyer war früher Sozialdemokrat.
Als gewählte Mitglieder des Kreistages schieden Benno Hils, Hugo Linderhaus und Heinrich Matscheroth aus, für sie rückten der ehemalige Kommunist Erwin Kobylka, Erich Sonnert und Walter Hennings nach. Sonnert war früher Sozialdemokrat.
Aus gesundheitlichen Gründen verließ Willi Fenkner die Stadtverordnetenversammlung und wurde ersetzt durch den früheren Sozialdemokraten Hinrich Schultz. Am 3.11.1948 blieb Dr. Franz Wegener im Westen und wurde ersetzt durch Ernst Möhring. Am 19.4.1950 schied dann noch Georg Günther aus. Für ihn rückte der frühere Sozialdemokrat Karl Freidank nach.
Bis zur nächsten “Wahl” am 15.10.1950 lässt sich also für die Stadtverordnetenversammlung zusammenfassend feststellen: Die SED profitierte davon, dass Wernigerode eine Hochburg der Sozialdemokratie war. Die Kommunisten waren und blieben (zunächst) in der Stadt spätestens seit Ende 1927 nicht mehr als eine Randgruppe. Im Stadtparlament hatte zwar die SED die zahlenmäßig stärkste Fraktion, aber nicht die absolute Mehrheit.
Anders als in der Stadt waren die Sozialdemokraten gegenüber den Kommunisten auf Kreisebene in Abteilungsleiterebene von Anfang an nicht in der Überzahl. So war zwar der Landrat bis 1947 ein Sozialdemokrat (zunächst Paul Eichfeld bis zu seiner Verhaftung, dann kurz Max Otto, dann Hermann Paul Reichardt). Strukturiert wurde die Kreisebene jedoch erst zum 15.10.1945 und damit unter sowjetischer Besatzung. Von neun Amtsleitern (inklusive dem stellvertretenden Landrat) waren mindestens sechs ehemalige Kommunisten, einer (Wilhelm Lange, der nur kurzzeitig als Leiter fungierte, um dann von einem weiteren ehemaligen Kommunisten abgelöst zu werden) parteilos, bei einem (Alfred Lange) ist hinter der früheren Parteimitgliedschaft, die mit “SPD” angegeben wird, in der Quelle ein Fragezeichen zu finden und nur einer der Abteilungsleiter war früher definitiv Sozialdemokrat (Max Adermann). Am 4. Februar 1947 wurde die Kreisverwaltung nach der Wahl neu gebildet: Landrat wurde der ehemalige Kommunist Wilhelm (“Willi”) Falkenbach. Zwei der neun Ressorts unterstanden ihm direkt. Jeweils zwei weitere Ämter wurden von Vertretern von CDU und LDP geleitet. Jeweils ein Amt leiteten die ehemaligen Kommunisten Johann Schillack und Herbert Stresow (jetzt SED) und der ehemalige Sozialdemokrat Heinrich Matscheroth (Arbeit und Soziales, jetzt SED). Somit war die Mehrheit der Leiter SED-Mitglied. Nach der Wahl 1950 verfestigte sich diese Konstellation weiter: Neben dem Landrat Falkenbach führte die SED vier der sieben Ämter (der alte Sozialdemokrat Heinrich Matscheroth war kein Leiter mehr), jeweils ein Amt wurde geleitet von einem NDPD-, CDU- und LDP-Mitglied.
Das Schicksal der Sozialdemokraten der ersten Stunde (nach dem Zweiten Weltkrieg) ist bezeichnend. Bürgermeister Max Otto und Landrat Hermann Reichardt wurden aus dem Amt “gelobt”, selbst bei Ottos Nachfolger Gustav Strahl ist diese Art von Amtsentzug nicht unvorstellbar. Der SPD-Vorsitzende und (besoldeter) Stadtrat von 1946 Richard Bartels ging nach diversen Parteiverfahren und mehrfacher Verhaftung in den Westen, auch der 1946-er Stadtverordnete Dr. Franz Wegener verließ den Osten, wie auch der mutmaßliche Sozialdemokrat und 46-er Stadtverordnete Georg Günther. In Ungnade fiel der 46-er Kreisrat Heinrich Matscheroth, wurde jedoch nicht wie der 46-er Stadtverordnete Karl Läger aus der Partei geworfen. Der 46-er Stadtverordnete Friedrich Kuring, wie Otto Goedecke schwer krank, starb 1953.