Es ist nicht zu fassen: Sollen wirklich sogenannte Zeitzeugen, deren Motto “In der DDR war nicht alles schlecht” und “Die DDR war eine gute Idee” ist, in die Schulen dieses Landes geschickt werden? Da fragt man sich doch: Was war denn gut in der DDR? Dass Schriftstellerei, Malerei, Musik, Kabarett, Lyrik, Bildhauerei, Filmkunst zensiert wurde? Dass es keine Pressefreiheit gab? Dass Gebiete in der DDR als Europas schlimmste Umweltkatastrophengebiete galten? Dass die vormilitärische Ausbildung schon für Kinder und Jugendliche in ZV- und GST-Lagern begann? Dass es keine Meinungsfreiheit gab? Dass es viel zu wenig Wohnungen gab? Dass Menschen wie bei den Nazis ausgebürgert und abgeschoben wurden? Dass die Alt- und Innenstädte großflächig verfielen und zum Teil wie Ruinenfelder aussahen? Dass es einen steten Mangel an Konsumgüter und Dienstleistungen gab? Dass die Infrastruktur in Bezug auf Verkehr, Telefon und Abwasserentsorgung auf dem Stand der sechziger Jahre verharrte? Dass es noch nicht mal in die “Bruderstaaten” visumsfreie Reisefreiheit gab – von anderen Ländern ganz zu schweigen? Dass die Selbstmordrate (solange sie gezählt wurde) die zweithöchste (nach Ungarn) in Europa war? Dass es keine freien Wahlen gab? Dass die Lebenserwartung in der DDR geringer war als in der BRD? Dass ehrliche und kritisch nachfragende Menschen nicht nur Nachteile hatten, sondern in Extremfällen “zersetzt” wurden (wie dies das MfS nannte)? Dass gute Bücher “Bückware” waren? Dass ein großer Teil der “volkseigenen” Betriebe eher Manufakturen glich? Dass das Geld wertlos war? Dass Kunstgüter, ja selbst Pflastersteine an den Westen verschachert wurden? Dass Waffen in Kriegsgebiete geliefert wurden? Dass es haarsträubende systematische Notstände in Alten- und Pflegeheimen gab? “Nein”, sagen da die, die nicht alles schlecht finden – “es gab doch soziale Wohltaten.” Und sie vergessen zu erwähnen, dass genau diese “Errungenschaften” zum ökonomischen Untergang der DDR führten, wie es seit Mitte der 1990er Jahre selbst frühere SED-Spitzengenossen einräumen. Man kann dies sogar zeitlich festmachen: Ab Frühjahr 1990 wäre der Lebensstandard des DDR-Bürgers um 30% gesunken, wäre nicht die “Wende” dazwischen gekommen. Lohnkürzungen und erhebliche Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln und Mieten hätten vielleicht zu Unmut in der Bevölkerung geführt – der dann möglicherweise wie 1953 im Blut erstickt worden wäre – die chinesischen Kommunisten hatten es ein Jahr zuvor in Peking vorgemacht. Wäre das etwas auch “nicht schlecht” gewesen? Und welche “gute Idee” war die DDR, die es ohne die Sowjetunion nie gegeben hätte, die schon vor der Gründung 1949 hunderttausende in den Westen trieb und die von Anfang an nichts anderes sein wollte als eine Diktatur? Wenn tatsächlich nun ältere Herren, die ihr Leben in der DDR- Nomenklatur zugebracht haben, rückblickend ihr “Lebenswerk” verteidigend (natürlich haben alle “fleißig gearbeitet” – doch was ist das für ein Kriterium für die Charakterisierung eines Staates?) jetzt ihre real-existierenden Weisheiten aus dem SED-Parteilehrjahr an den Bildungseinrichtungen verbreiten dürfen, kann man nur hoffen, dass die zuständige Ministerin diesem Treiben möglichst schnell einen Riegel vorschiebt. Wer Relativierungen und Verklärungen der DDR hören will, kann dies außerhalb unserer Schulen tun – es gibt sogar eine Partei, die sich solcher Leute gern annimmt.
Ralf Mattern, Wernigerode