“Betriebsräte im Gespräch: Situation der Wernigeröder Wirtschaft in der Krise”
Gleich vier aktuelle und mit Stadtrat Siegfried Siegel ein ehemaliger Betriebsrat wurden beim letzten Bürgerstammtisch der Wernigeröder SPD begrüßt. Die Sozialdemokraten hatten eingeladen um zu erfahren, wie die momentane Wirtschaftskrise in hiesigen Betrieben aus der Sicht der Arbeitnehmer bewältigt wird. Das Ergebnis überraschte: Weit davon entfernt, die Situation zu beschönigen, zeigten sich die Arbeitnehmervertreter vorsichtig optimistisch. Voraussetzungen seien jedoch zunächst die Fortführung der vom damaligen SPD-Bundesarbeitsminister Olaf Scholz initiierten Kurzarbeiterregelung und ein Ansteigen der Auftragseingänge. Ulf Hardam, Betriebsrat im Industriebau Wernigerode, betonte lobend, dass auch in der Krise sein Unternehmen tarifgebunden (“Mit einer DGB-Gewerkschaft!”) bleibt – “als eines der wenigen in der hiesigen Baubranche”. Innovative Geschäftsmodelle, wie das privat vorfinanzierte Erbauen öffentlicher Gebäude, das so genannte “PPP-Modell” helfe den Baufirmen und den klammen Kassen der öffentlichen Auftraggeber, die damit – wie in Magdeburg – fast die komplette Schullandschaft sanieren konnten. “Schöne Schulen, motivierte Kinder, zufriedene Eltern – das sind Faktoren, um eine Stadt, einen Standort zu festigen”, so Hardam. Tarifgebunden ist auch der Elektromotorenhersteller VEM – allerdings auf der Grundlage eines Haustarifvertrages mit der christlichen Gewerkschaft CGM. Und der liegt ca. 20 Prozent unter dem gültigen Flächentarif der IG Metall in Sachsen – Anhalt. “Das, was die IG Metall zurzeit mit den Arbeitgerbern aushandelt, trifft deshalb für uns nicht zu”, bedauerten die Betriebsräte Burkhard Büttner, Burkhard Goerke und Michael Mook und verwiesen zugleich darauf, dass im elfköpfigen Betriebsrat neben den IG Metall-Vertretern nur zwei Angehörige der CGM sitzen. Gleichwohl betonen auch sie, dass die Geschäftsführung von VEM den Betriebsrat regelmäßig und umfangreich über die betriebswirtschaftliche Lage informiert und in Unternehmensentscheidungen einbezieht . Als direkte Folge der Wirtschaftskrise ist seit mittlerweile einem Jahr die Ausgestaltung der Mitbestimmung bei der Kurzarbeit in den Fokus der Betriebsratsarbeit gerückt. “Problematisch für alle sich in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmer sind natürlich die finanziellen Einbußen auf dem Gehaltsschein. Schichtarbeiter, die dann außerdem auf die – teilweise steuerfreien – Zuschläge für die Nachtschicht, auf Belastungszulagen oder auf Mehrarbeitszuschläge verzichten müssen, trifft dies besonders hart”, betonte Büttner. Leiharbeit ist weder im Industriebau noch bei VEM ein Thema. Trotzdem richteten die Betriebsräte an die Politik die Aufforderung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verändern. “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss auch für Leiharbeiter gelten”, forderte Burkhard Goerke, der zugleich zu berichten wusste, dass “Übernahmen von Leiharbeitern eher in mittelständischen Betrieben möglich sind, fast nie bei Großkonzernen”. Neben der Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen (“Wobei uns das nicht betrifft – unsere Tarife liegen höher”, sagte Ulf Hardam) verlangen die engagierten Arbeitnehmervertreter vom Gesetzgeber die Möglichkeit, als Verband gegen sittenwidrige Löhne klagen zu können. Dies ist bislang nur Betroffenen möglich. Nachdenklich äußerten sich die Betriebsräte zur Nachwuchsgewinnung: “Wir haben in Folge der demografischen Entwicklung dieses Jahr nur knapp hundert, statt wie früher über 300 Bewerbungen für Ausbildungsplätze – und befinden uns gegenwärtig im Auswahlverfahren”, sagte Burkhard Büttner. Ulf Hardam: “Azubis mit Qualität zu finden, ist schwierig”. Dabei haben beide Unternehmen längst das schwierige Demographie-Thema im Blick und bieten in Sachen Fort- und Weiterbildung Vorbildliches an: “Weiterbildung und höhere Abschlüsse werden bei uns gefördert, ingenieurtechnisches Personal sichern wir uns durch eine intensive Zusammenarbeit mit Hochschulen und verbinden dies mit Stipendien”, erklärten Büttner und Mook. “Auch im Industriebau ist ein Ausbildungsweg in Kooperation mit einer universitären Ausbildung zum Bachelor möglich, sowohl im bautechnischen, als auch im kaufmännischen Bereich”, ergänzte Ulf Hardam. Abschließend lobte Burkhard Büttner den bisherigen Harzer Bundestagsabgeordneten Andreas Steppuhn (SPD): “Für uns Betriebsräte war er ein guter Ansprechpartner, er lud auf dem kurzen Weg zu Betriebsrätekonferenzen ein, was unsere Arbeit effektiver machte”. Der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Ludwig Hoffmann bedankte sich bei den Betriebsräten für deren engagierte Diskussion und versicherte, dass die Sozialdemokraten die engagierte gewerkschaftliche Politik für die Interessen der Arbeitnehmer unterstützen.