Thema “Mindestlohn”
Die Wernigeröder Sozialdemokraten sammelten innerhalb weniger Wochen etliche Hundert Unterschriften für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Ortsvereinsvorsitzender Rolf Harder (links) und der in Wernigerode wohnende stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD, Avery Kolle (rechts) übergaben am Rande des SPD-Bürgerstammtischs einen Teil der Listen an den Bundestagsabgeordneten Andreas Steppuhn
Die bereit gestellten Stühle im großen Raum des „Alten Amtshauses“ reichten gerade aus, damit die mehr als 30 Interessierten anlässlich des SPD-Bürgerstammtischs zum Thema „Mindestlöhne – auch im Harz?“ Platz finden konnten. Und doch wurden noch einige Gäste vermisst: Ortsvereinsvorsitzender Rolf Harder teilte bedauernd mit, dass der Arbeitgeberverband Nordharz und die Kreishandwerkerschaft nach deren Aussage keine kompetenten Personen haben, die zum Thema aussagefähig sind. IHK Geschäftsführer Falko Sommer erklärte gar, dass seine Organisation grundsätzlich keine Einladungen von Parteien annehme. „Offensichtlich geht es den Arbeitgebern an der Basis so gut, dass sie sich an einer öffentlichen Diskussion nicht beteiligen müssen – das sollte man in Berlin bei Gesprächen zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes oder einer Umlagefinanzierung bei fehlenden Ausbildungsplätzen unbedingt beachten“, meinte dazu der stellvertretende SPD-Chef Ralf Mattern.
Versammlungsleiter und Wirtschaftsfachmann Ralf Quednau eröffnete den Stammtisch dann auch in der Hoffnung, dass es trotzdem zu einer Diskussion kommt. Er sollte nicht enttäuscht werden. So begann der Bundestagsabgeordnete Andreas Steppuhn (SPD) seine Einführung mit der Zahl von 1,8 Millionen Arbeitnehmern, die neben ihrem Verdienst noch auf eine Aufstockung durch das ALG II angewiesen sind. „Das ist ein Skandal“, so der Sozialdemokrat, „zumal Firmen, die, statt auskömmliche Löhne zu zahlen, mit solchen Niedriglöhnen bewusst kalkulieren, um Mitbewerber auszustechen. Das zeigt: Wir brauchen auch im Interesse der Firmen selbst Mindeststandards.“ Auch die Harzer DGB-Vorsitzende Dr. Elisabeth Martin verwies auf diese Art von „Kombilohn“, nicht ohne zu kritisieren, dass es selbst im Bundestag bis vor kurzem einen Wachdienst gab, der seinen Angestellten gerade mal 4,70 Euro bezahlte. KOBA-Chef Dirk Michelmann ergänzte, dass es im Bereich des Altkreises Wernigerode 13% der sozialversichert Beschäftigten gäbe, die mit ALG II ihre Niedriglöhne aufbessern müssen. „Da ist die Verlockung für die Arbeitgeber groß, die regulären Löhne weiter zu drücken“, meinte Michelmann. Gleichzeitig verwies er auch auf das Problem der Zeitarbeitsfirmen: „Dort werden Löhne gezahlt, die weit unter denen der festangestellten Kollegen liegen – für die gleiche Tätigkeit. Das führt zu Spannungen unter den Kollegen, das ist eine brennende Baustelle“, wählte Dirk Michelmann drastische Worte. Gleichwohl betonte der Arbeitsmarktexperte auch das Spannungsfeld, in dem sich z.B. ein Wernigeröder Betrieb der Nahrungsmittelwirtschaft, der gerade expandiert, befindet und der in großem Maße auf Leiharbeit setzt. „Die Firma vergrößert sich hier, weil es das Lohngefüge so zulässt“. Andreas Steppuhn pflichtete dem bei, sagte aber auch, dass er froh sei, dass es zunächst überhaupt erstmal einen Tariflohn bei Leiharbeitsfirmen gibt. Es ist jedoch problematisch, dass dieser Einheitstarif alle Branchen abdeckt und so also nicht branchenspezifisch angepasst werden kann. Es sollte darüber nachgedacht werden, wieder eine zeitliche Begrenzung der Leiharbeit einzuführen.
Große Probleme sah Rolf König von der Gewerkschaft ver.di auch hier in der Region: So bekommen ausgebildete Krankenschwestern in einigen hiesigen Pflegediensten Löhne zwischen 2,50 und sechs Euro. „Man sollte aber auch tariftreue Pflegedienste benennen, wie die Diakonie, die AWO oder nun auch – nachdem es einen Vertrag mit dem Landesverband gab – das DRK.“ Andreas Steppuhn verwies auf seine Erfahrungen mit Wernigeröder Frisören: „Die Preise in Goslar und Wernigerode unterscheiden sich nicht so sehr – die Löhne für die Angestellten hingegen schon“, mahnte Steppuhn die Arbeitgeber, den Gewinn mit ihren Angestellten besser zu teilen.
Ralf Mattern fragte, was denn Dirk Michelmann und Rolf König, der bekanntlich zugleich Stieger Bürgermeister ist, davon halten, dass auf dem zweiten Arbeitsmarkt der vom Bundesarbeitsminister Franz Müntefering angedachte Kommunalkombilohn in Mindestlohnhöhe von 7,50 Euro bezahlt werden sollte, wo doch der Kommunalkombilohn zur Hälfte von der Kommune getragen werden müsste. Rolf König sah da finanzielle Probleme für die finanzielle Leistungsfähigkeit seiner Gemeinde auf sich zukommen. Andreas Steppuhn meinte, dass das der Gesetzgeber beachten muss: „Verliert der Landkreis einen Arbeitslosen, dem er bislang z.B. die Unterkunft und die Heizung bezahlen musste, müssen diese freigesetzten Gelder dann an die Kommunen weiter gegeben werden. Ich bin gespannt, wie sich Landrat Michael Ermrich dazu positionieren wird“, vermutet Steppuhn Verteilungsdiskussionen. Dirk Michelmann sieht den Kommunalkombilohn für schwer vermittelbare Arbeitslose als das „Modell der Zukunft“ und warb dafür, die „Diskussion darüber nun anzuschieben“. Abschließend betonte Andreas Steppuhn, dass gerechte Löhne auch einem Facharbeiterschwund gerade in Ostdeutschland vorbeugen. „Wird hier gut bezahlt, verlässt niemand die Gegend“, so der Sozialdemokrat.