Leserbrief zur Sarrazin-Diskussion

Viel Aufruhr um wenig Inhalt: Da erklärt ein Herr mit dem typisch deutschen Namen Sarrazin, der ein Buch geschrieben hat, einigen ängstlichen Gemütern in Halberstadt die Welt. Und die Erklärung lautet zusammengefasst: Wer deutsch und Hartz IV-Empfänger ist, ist dumm und hat das vererbt bekommen. Wer türkisch und Hartz IV Empfänger ist, hat noch dazu die falsche Religion. Aha. Ob diejenigen, die bei solchen Aussagen heftig mit dem Kof nicken wissen, warum der ältere Sohn des Herrn Sarrazin in einem Ostberliner Plattenbau von Hartz IV lebt (Quelle: http://www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/das-schwarze-schaf/ )? Stellt sich da die Frage, ob sich in diesem Fall tatsächlich auch die Sarrazinschen “Hartz IV-Gene” vererbt haben, zumal bekannt ist, dass Thilo Sarrazins Sohn nicht zum Islam konvertiert ist, sondern eher durch gelegentliche Ruhestörung von der Polizei zugeführt werden muss? Vielleicht stimmt die ganze Theorie des Welterklärers Sarrazin aber auch garnicht, und Schuld am Hartz-IV-Dasein seinen Sohnes sind nicht die Gene oder die Religion, sondern einfach nur der Umstand, dass ˆ wie es der Sohn beschreibt ˆ seine Eltern schlicht unerträglich sind und die Familie zerrüttet ist. Und ein solcher Herr, der in seiner eigenen Familie gescheitert ist, hat die Deutungshoheit über Deutschands soziale Probleme? Selbst die Fakten, die er vorbringt, hinken: Interessante Zahlen hat uns die Bertelsmann-Stiftung beschert: So verlassen in Mecklenburg-Vorpommern 17,9% der Schüler die Schule ohne Abschluss. Was hatte eigentlich der Hobby-Darwin Thilo Sarrazin in dieser Hinsicht gesagt, als er ausführte, dass Bildungskompetenz genetisch bedingt sei? 10,4 Prozent der Zuwandererkinder verlassen in Deutschland die Schule ohne einen Abschluss, bei den türkisch-stämmigen Schülern sind es 20%. Doch: Das sind immer noch weniger, als z.B. in Wismar, Mecklenburg-Strelitz oder Ostvorpommern. Der Ausländeranteil in Mecklenburg-Vorpommern beträgt aber gerade mal 2,4%. Nach Sarrazin lassen diese Fakten nur einen Schluss zu: Genetisch sind die Norddeutschen den Türken näher als den Ost-, Süd-, Mittel- und Westdeutschen. Oder gibt es für die “Bildungsverlierer” vielleicht statt biologisch-genetischen dann doch eher sozio-ökonomische Ursachen, die man mit den von den Sozialdemokraten geforderten Ganztagsschulen und frühkindlicher Bildung beseitigen könnte?

Ralf Mattern, Wernigerode

4 Responses

  • 2458 Zeichen und 337 Wörter – und nicht mit einem davon wird darauf eingegangen, in welcher Partei Herr Sarrazin eigentlich aktiv ist – und es nach dem erklärten Willen des Bundesvorstands auch bleiben wird. Anstatt sich auf Thilo Sarrazins Sohn einzuschießen – der für die kruden Thesen seines Vaters kaum verantwortlich sein dürfte – sollte vielleicht eher die Frage gestellt werden, warum es der SPD in mehreren Anläufen nicht gelungen ist, Sarrazin der Partei zu verweisen…

  • Na, da hat ja Unionsfreund Reinboth ganz genau gezählt – und dabei übersehen, dass es im Leserbrief (auch) um die Sarrazinsche These der Vererbung von Intelligenz und Fleiß ging. Nur deshalb der Hinweis auf den Sohn, dessen Leben nun so garnicht zur Theorie von Thilo Sarrazin passt(e). Der bleibt – das hat Unionsfreund Reinboth richtig festgestellt – Mitglied der SPD, weil er sich öffentlich von den sozialdarwinistischen Thesen, die er bislang verbreitete, verabschiedet hat. Insofern ist mein Leserbrief, der VOR der Verhandlung im Parteiverfahren verfasst wurde,etwas veraltet. Gern verweise ich aber auch Unionsfreund Reinboth in Anbetracht seiner rechtlichen Unklarheiten und seiner damit zusammenhängenden Frage auf das Parteiengesetz (§ 10 Abs. 4), das Ausschlüsse von Mitgliedern aus Parteien regelt. Und so bleibt Thilo Sarrazin Mitglied der SPD – übrigens nicht “nach dem Willen des Bundesvorstandes”, sondern nach dem Willen des Schiedsgerichtes – ein Unterschied, den es zu beachten gilt! Letztlich: Bezüglich Ausschlüssen von Parteimitgliedern sollte man in der CDU nicht mit Steinen werfen – oder warum blieb zum Beispiel der Nazi-Marinerichter Filbinger bis zu seinem Tod ein ehrenwertes Mitglied der Christdemokraten?

  • Werter Herr Mattern,

    vielen Dank für Ihre Antwort, auch wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, mich drei Mal in Folge mit “Unionsfreund” anzusprechen – es sein denn, Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, dass Sie selbst in der Dritten Person und mit “Sozialdemokratenfreund” angesprochen zu werden wünschen. Was nun den (Nicht-)Ausschluss Sarrazins angeht, so ist wohl festzuhalten, dass der SPD-Bundesvorstand als einer der vier Antragssteller fungiert und mit dem Rückzug des Antrags am Gründonnerstag den Verbleib Sarrazins in der Partei faktisch ermöglicht hat – und das auf eine inhaltlich eher schwache Erklärung hin, in der es unter anderem heißt, Sarrazin habe mit seinen Aussagen “keine Migranten diskriminieren” wollen. Wenn Sie dies für glaubwürdig erachten, will ich Ihnen nicht widersprechen. Inwiefern es nun aber bei der von Ihnen erwähnten “Verabschiedung” Sarrazins von seinen Thesen bleibt, sei allerdings dahingestellt, zumindest wird ja das dem Verfahren zugrunde liegende Buch weiterhin verkauft und durch Herrn Sarrazin mit Lesungen beworben.

    Dass übrigens Ihr Leserbrief vor dem Aussschlussverfahren verfasst wurde war – da müssen Sie mir verzeihen – für mich leider nicht ersichtlich, da er hier erst nach Verfahrensabschluss veröffentlicht wurde.

    Was nun die Causa Filbinger angeht, so haben Sie selbstverständlich Recht. Inwiefern sich daraus nun allerdings ableitet, dass auch die SPD ihre fehlgeleiteten Mitglieder behalten müsste oder sollte, erschließt sich mir dagegen nicht. Wenn man schon erkennt, dass eine andere Partei falsch gehandelt hat, sollte dann nicht die Konsequenz darin bestehen, sich in der eigenen Partei für richtiges Handeln einzusetzen, anstatt die Fehler derselben mit dem Verweis auf die Irrungen anderer Parteien zu relativieren?

  • Hallo Herr Reinboth,

    da wir ja hier in der Tat (bislang zumindest) auf der Kommentarebene der Homepage argumentierten, auf der auch weitere Interessierte mitlesen können, sprach ich Sie nicht persönlich an, sondern kommentierte Ihren Kommentar. Wenn Sie dies auch so handhaben wollen, habe ich damit kein Problem. Nur: Bei der SPD heißt es nicht „Sozialdemokratenfreund“, sondern „Genosse“. Zum Inhalt: Ich staune ja schon, gerade aus der CDU zu hören, wie in einer Partei mit Leuten umgegangen werden sollte, die – vorsichtig ausgedrückt – migrantenkritische Thesen aufstellen. Was ich so in der Vergangenheit aus der Ecke um Roland Koch (und der ist doch wohl Mitglied der CDU) vernehmen konnte und wie von Ihrer Partei „gegen Ausländer“ Stimmen gesammelt wurden (die Dementi, dass dies mitnichten der Fall sei und es „nur“ um die doppelte Staatsangehörigkeit gegangen sei, waren kaum hörbar) lässt doch eher den Schluss zu, dass Thilo Sarrazin in Ihrer Partei besser aufgehoben wäre. Ich jedenfalls könnte gut auf ihn (als „Genosse“) verzichten – nicht wegen der oben erwähnten migrantenkritischen Thesen, sondern wegen seiner kruden Vererbungs- und Sozialdarwinismuserklärungsversuche. Um dieses wirre Zeug („Einmal doof – immer doof“, Basken- und Judengene) ging es im Parteiverfahren gegen ihn – und hier soll er eingelenkt haben. Ich teile in Anbetracht der Persönlichkeit Sarrazins, der offensichtlich immer mal wieder mit medialen Paukenschlägen auffallen muss (bislang eher im Bereich der Ernährung von Hartz-IV-Empfängern und der Beheizung deren Wohnräume), Ihre Besorgnis, dass er schon bald „eine neue Sau durch das Dorf treibt“ – quasi einen Rückfall erleiden könnte. Und auch hier stimmen wir überein: Aus der Vergangenheit (auch aus der anderer Parteien) sollte man lernen. Nach wie vor ist mir allerdings der Beweggrund Ihrer Kommentare nicht ganz ersichtlich. Mein (nicht erschienener) Leserbrief war Sarrazinkritisch – Sie sind es scheinbar auch. Wo ist das Problem?

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